Kürzlich sass ich in einem Votrag über den Krieg in Syrien. Kompetent und tiefgründig erklärte der Professor die Situation und was dazu geführt hat. Der Islam war nur am Rand ein Thema. Ganz am Schluss meldet sich ein Zuhörer mit einer Frage, die aber eine Feststellung war: „Die Muslime streben die Weltherrschaft an, das wird schon in der Bibel vorausgesagt. Sie werden kämpfen bis sie die Kontrolle haben.“
Das bin anhin ruhige und besonnene Publikum erboste sich lautstark. Direkt vor mir rief ein Mann in deutlichen Worten durch den Saal: „Wenn man etwas schlechtes über den Islam sagt, dann können wir gleich aufhören.“
Dieser reflexartige Beschützerinstinkt gegenüber dem Islam nennt Kissler in seinem Buch Keine Toleranz den Intoleranten „vorauseilenden Unterwerfungsgeste.“
Generell ist es erstaunlich, wie viel Toleranz die westliche Zivilisation ihren erklärten Feinden entgegenbringt – sei es in vorauseilender Sebstzensur, sei es im ostentativen Desinteresse.
In leicht populistischer Sprache bringt Kissler ein Beispiel nach dem anderen, wie sich in Europa die Politiker, die Intelektuellen und Künstler vor den Muslimen ducken. Selbstzensur bei Karikaturen, Zugeständnisse bei religiösen Praktiken (Kopftuch), die praktisch totale Verleugnung eines Zusammenhang zwischen Gewalt und Islam. Im Namen der Toleranz sehen wir es als unsere Aufgabe, dafür zu sorgen dass nichts und niemand den Muslim (sic!) provoziert.
Für Kissler bedeutet Toleranz aber etwas anderes. Er bezieht sich auf Voltaire und Locke, skizziert den Einfluss des jüdischen und christlichen Monotheismus, macht auf den Einfluss grichischer Philosophie und römischen Rechtsverständnisses aufmerksam und zeigt auf, wie alle diese Faktoren zu unserem Verständniss von Toleranz geführt haben: die Möglichkeit, alles zu Hinterfragen, die Gleichheit aller Menschen, das Recht auf Leben, das Recht auf Besitz und Mitsprache in der Gesellschaft, die Trennung von Religion und Staat.
Laut Kissler ist der Westen daran, diese hart erkämpfte Toleranz und Freiheit unbedacht aufzugeben. Der Raum, der durch falsch verstandener Toleranz zugestanden wird, wird umgehend durch intolerante Weltansichten in Beschlag genommen und setzt so unsere Freiheiten aufs Spiel.
Der Aufruf von Kissler durch das Buch ist letztlich einfach:
Der Westen muss wieder auskunftsfähig werden, jedem und jeder, über die Genese seiner Freiheit. Er muss neu ausbuchstabieren und verteidigen können, wie er wurde, was er ist: ein Versprechen auf Glück pizza bern , eine Geschicht von der Würde eines jeden Menschen, die unverlierbar ist, weil jeder Mensch gleich geboren wird…
Deshalb muss man im Emmental auch sagen dürfen, dass der Islam die Weltherrschaft anstrebt. Und Charlie Hebdo darf Karikaturen von Mohammed veröffentlichen. Und man darf sich über das eine wie das andere empören und anderer Meinung sein. Doch man darf deswegen nicht töten oder getötet werden.
Alexander Kissler, Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss, Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus, 2015